Relativitätstheorie und die Einheit von Raum und Zeit

Relativitätstheorie und die Einheit von Raum und Zeit
Relativitätstheorie und die Einheit von Raum und Zeit
 
In der klassischen Mechanik gilt die Annahme, dass sowohl der dreidimensionale Raum als auch die Zeit vorgegebene und unabänderliche Phänomene darstellen. Insbesondere Newton prägte den Begriff des absoluten Raums und der absoluten Zeit, die unabhängig vom Beobachter im Universum existieren. Eine Konsequenz dieses universellen Charakters von Raum und Zeit ist die Tatsache, dass die Geschwindigkeit eines Körpers im Raum abhängig vom Beobachter ist. Die Geschwindigkeit ist demzufolge immer relativ, also relativ zu einem Beobachter, und ändert sich, wenn der Beobachter wechselt. So wird ein Beobachter auf der Erde die Geschwindigkeit eines Autos, das an ihm vorbeifährt, stets anders beurteilen als ein Raumfahrer, der neben der Geschwindigkeit des Fahrzeugs auch die Umdrehungsgeschwindigkeit der Erde berücksichtigen muss. Bewegen sich Erde und Auto in der gleichen Richtung, kann der Raumfahrer die Geschwindigkeit beider addieren und erhält so die Geschwindigkeit des Fahrzeugs — relativ zu seiner eigenen Position.
 
Probleme ergeben sich jedoch, wenn man statt eines mechanischen Körpers einen Lichtstrahl betrachtet. Nach den Gesetzen der klassischen Mechanik müsste die Geschwindigkeit des Lichts ebenfalls vom Beobachter abhängen. Licht, das von einem fahrenden Wagen in Richtung der Geschwindigkeit des Wagens ausgestrahlt wird, sollte sich bezüglich eines ruhenden Beobachters schneller bewegen als Licht, das von einem ruhenden Wagen ausgestrahlt wird. Verschiedene Experimente zeigten jedoch, dass sich die Geschwindigkeit des Lichts nicht ändert und in jedem Bezugssystem festliegt. Die Geschwindigkeit des Lichts ist eine universelle Naturkonstante, kein Teilchen kann sich je schneller als das Licht bewegen.
 
Damit ist die Gültigkeit der klassischen Mechanik begrenzt. Sie gilt nicht für Bewegungen von Körpern, deren Geschwindigkeiten an die Lichtgeschwindigkeit heranreichen. Albert Einstein realisierte als Erster im Jahr 1905, dass man diese Unstimmigkeit nur aufheben kann, wenn man die grundlegenden Konzepte von Raum und Zeit neu interpretiert. Nach Einsteins Spezieller Relativitätstheorie, die heute durch zahlreiche Experimente erhärtet ist, hängt der Fluss der Zeit vom Bewegungszustand des Beobachters ab. In einem schnell bewegten System wird die Zeit gedehnt (Zeit-Dilatation).
 
Auch der Raum ist veränderlich. Beim Übergang von einem ruhenden Bezugssystem zu einem bewegten Bezugssystem verkürzt sich der Raum in der Bewegungsrichtung (Raum-Kontraktion). Dies widerlegt Newtons Prinzip des absoluten Raums und der absoluten Zeit. Raum und Zeit kann man nicht getrennt nebeneinander betrachten. Sie bilden eine Einheit. Bei einem Übergang von einem ruhenden zu einem bewegten Bezugssystem werden Raum und Zeit ineinander verdreht. Allerdings spielen diese Phänomene für die normale klassische Mechanik keine Rolle, da hier die Geschwindigkeiten in den meisten Fällen sehr klein gegenüber der Lichtgeschwindigkeit sind.
 
In den großen Teilchenbeschleunigern, etwa am LEP, dem Large Electron Positron Collider beim Europäischen Zentrum für Teilchenphysik CERN in Genf, erreichen die beschleunigten Elementarteilchen dagegen nahezu Lichtgeschwindigkeit. Wollen die Physiker das Verhalten eines Teilchenstrahls im Beschleuniger genau beschreiben, müssen sie bei dieser Geschwindigkeit die relativistischen Effekte berücksichtigen. Eine Konsequenz der Relativitätstheorie ist, dass die Geschwindigkeit eines beschleunigten Teilchens, das bereits nahezu die Lichtgeschwindigkeit erreicht hat, faktisch nicht mehr steigt, wenn Energie zugeführt wird. Die Energie des Teilchens erhöht sich also, ohne dass sich die Geschwindigkeit ändert.
 
Nach der klassischen Newton'schen Mechanik nimmt die Energie eines bewegten Objekts um das Vierfache zu, wenn man die Geschwindigkeit verdoppelt. Bei einem Teilchen, dessen Geschwindigkeit nahezu Lichtgeschwindigkeit beträgt, würde sich bei einer Vervierfachung der Energie die Geschwindigkeit nur noch ganz wenig ändern. Je mehr Energie zugeführt wird, umso näher rückt die Geschwindigkeit des Teilchens an die Lichtgeschwindigkeit heran. Nur im Grenzfall von unendlich hoher Energie erreicht das Teilchen letztlich die Lichtgeschwindigkeit. In der Realität bedeutet dies jedoch, dass kein massives Teilchen jemals die Lichtgeschwindigkeit erreichen kann. Die Lichtgeschwindigkeit ist demnach nicht nur die Geschwindigkeit des Lichts in der Natur, sondern stellt auch eine unüberwindbare Hürde für massive Teilchen dar. Ein Raumschiff, das mit mehrfacher Lichtgeschwindigkeit durch das All fliegt, ist demzufolge ein Fantasieprodukt.
 
 Energie und Masse
 
Der Speziellen Relativitätstheorie liegt die Einheit von Raum und Zeit zugrunde. In der klassischen Mechanik sind die Begriffe Energie und Zeit eng miteinander verbunden. Die Erhaltung der Energie ist ein Ausdruck der Homogenität in der Zeit. Eine neue Interpretation des Zeitbegriffs, wie dies Einstein in der Speziellen Relativitätstheorie gelang, hat deswegen notwendigerweise Konsequenzen für unser Verständnis von Energie. Die Bewegungsenergie eines Teilchens in Ruhe ist in der Newton'schen Mechanik gleich null. In der relativistischen Mechanik ist dies nicht der Fall. Die Vereinheitlichung von Raum und Zeit führt deshalb dazu, dass auch einem ruhenden Teilchen ein gewisses Energieäquivalent zugeordnet werden muss. Es ist gegeben durch Einsteins Beziehung: E = mc2. Die Energie eines ruhenden Körpers der Masse m entspricht demnach der Energie, die man erhält, indem man die Masse mit dem Quadrat der Lichtgeschwindigkeit multipliziert. Betrachtet man geläufige makroskopische Masseeinheiten, etwa die Masse von einem Kilogramm, so erhält man wegen der Größe der Lichtgeschwindigkeit sehr große Energiemengen. Ein Kilogramm Materie entspricht demzufolge 25 Milliarden Kilowattstunden, eine Energie, die ein großes Kraftwerk in einem Jahr produzieren kann. Ebenso wie Raum und Zeit in der Speziellen Relativitätstheorie eine Einheit bilden, so bilden auch die Begriffe Masse und Energie eine Einheit.
 
Die Zuordnung eines gewissen Energiebetrags zu einer bestimmten Menge an Masse bedeutet noch nicht, dass diese Energie tatsächlich auch umgesetzt werden kann. Das Massenäquivalent, das etwa bei chemischen Reaktionen umgesetzt wird, ist so klein, dass man es vernachlässigen kann. Eine typische Umwandlung von Masse in Energie findet jedoch bei nuklearen Reaktionen in Sternen statt. Die Größenordnung der Umwandlung liegt hier bei etwa einem Prozent der beteiligten Massen.
 
 Raum, Zeit und Gravitation
 
Eine Besonderheit der Newton'schen Theorie der Massenanziehung besteht darin, dass ein massiver Körper in einem vorgegebenen Gravitationsfeld sich so bewegt, als würde seine Masse keine Rolle spielen. Zwar ist die Gravitationskraft auf einen doppelt so schweren Körper doppelt so groß, jedoch lässt sich der schwerere Körper auch schwerer in einem Gravitationsfeld ablenken, sodass die Beschleunigung des Körpers dieselbe ist. Wenn man vom Luftwiderstand absieht, ist etwa die Beschleunigung einer Bleikugel und einer Holzkugel im Schwerefeld der Erde gleich groß, obwohl die Kugeln sich erheblich in ihrer Masse unterscheiden. Dieses Phänomen ergibt sich in der Newton'schen Theorie der Gravitation als Zufall, ohne tiefere Begründung.
 
Eine tiefer reichende Begründung liefert erst Albert Einsteins Theorie der Gravitation, die Allgemeine Relativitätstheorie. Diese Theorie, die mittlerweile durch viele experimentelle Untersuchungen erhärtet ist, beschreibt das Phänomen der Gravitation nicht als normale physikalische Kraft, wie die elektrische Kraft, sondern als indirekte Konsequenz einer Krümmung der Geometrie von Raum und Zeit. Der Ablauf der Zeit hängt nicht nur vom Zustand des Beobachters ab, wie dies die Spezielle Relativitätstheorie besagt, sondern auch vom Gravitationsfeld. In der Nähe eines schweren Körpers geht eine Uhr anders als in großer Entfernung. Zwei Uhren, die im Keller und im Boden eines Hauses untergebracht sind, unterscheiden sich um einen allerdings sehr geringen Betrag in ihrem Gang. Das Netz der Raum-Zeit wird durch die Gegenwart von gravitierenden Massen gekrümmt. Die Erde bewegt sich also nicht um die Sonne, weil die Sonne sie direkt mit ihrer Masse anzieht, sondern weil die Raum-Zeit-Struktur durch die Gegenwart der Sonne so gekrümmt wird, dass der Erde nichts anderes übrig bleibt, als der gekrümmten Raum-Zeit zu folgen. Die Ellipsenbahn der Erde um die Sonne ist damit eine natürliche Konsequenz der Verkrümmung der Raum-Zeit.
 
Einstein stellte in seiner Allgemeinen Relativitätstheorie Gleichungen für das Gravitationsfeld auf, wobei er zeigen konnte, dass die Newton'sche Gravitationstheorie unter bestimmten Bedingungen aus seinen Gleichungen abgeleitet werden kann. Sobald das Gravitationsfeld eine gewisse Stärke übersteigt, zeigen sich jedoch erhebliche Abweichungen zur Newton'schen Theorie der Gravitation.
 
Ein Phänomen, dass sich mit den Einstein'schen Gleichungen erklären lässt, sind die Schwarzen Löcher. Diese bilden sich, sofern Materie so stark verdichtet wird, dass zugleich das Gravitationsfeld sehr stark werden kann. In diesem Fall erhält man ein Gebilde, das zwar Materie und Lichtstrahlen aufsaugen kann, Letztere jedoch nicht mehr ausgestrahlt werden können. Schwarze Löcher stellen Singularitäten der Raum-Zeit dar. Ihre Masse kann variieren und beispielsweise nur wenige Sonnenmassen betragen. Möglicherweise befinden sich jedoch insbesondere in den Zentren von großen Galaxien, etwa der Milchstraße, ein oder vielleicht auch mehrere massive Schwarze Löcher, deren Masse Milliarden von Sonnenmassen beträgt. Letztere sind in der Lage, Sterne einzufangen und dabei sehr große Energiemengen abzustrahlen.
 
 Erschütterungen des Raum-Zeit-Gefüges
 
Die Wechselwirkung zwischen der Raum-Zeit-Struktur und der Materie beschreiben die Einstein'schen Gleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie. Mathematisch gesehen handelt es sich dabei um komplizierte Differenzialgleichungen, die nur in den einfachsten Fällen überhaupt lösbar sind. So lässt sich selbst ein vergleichsweise einfaches physikalisches System, beispielsweise die Sonne mit ihren Planeten, mit den Methoden der Allgemeinen Relativitätstheorie nicht exakt lösen. Selbst der Einsatz von Computern hilft nicht, alle physikalischen Aspekte dieses Systems befriedigend zu enträtseln. Deshalb kann es auch nicht gelingen, obwohl die zugrunde liegenden Naturgesetze bekannt sind, die künftige Entwicklung des Systems zu berechnen. Voraussagen sind also nur eingeschränkt möglich. Deutlich wird dies am Beispiel der Gravitationswellen: Im Rahmen der Allgemeinen Relativitätstheorie ist das Phänomen der Gravitation eine Folge der Verkrümmung der Raum-Zeit. Jede Bewegung von Massen führt deshalb zu Erschütterungen des Raum-Zeit-Gewebes, die sich wellenförmig und mit Lichtgeschwindigkeit wegbewegen. Solche Gravitationswellen sendet etwa ein Doppelsternsystem aus, also ein System aus zwei Sternen, die sich gegenseitig anziehen und sich umeinander bewegen. Diese Schwerewellen verlaufen analog den elektromagnetischen Wellen. Im Gegensatz zu den Letzteren sind die Gravitationswellen jedoch nicht linear. Dies bedeutet, dass beim Zusammentreffen zweier Gravitationswellen komplizierte Überlagerungsprozesse stattfinden, die man nur in speziellen Fällen berechnen kann.
 
Die Astrophysiker erwarten, dass besonders starke Gravitationswellen bei der Kollision von sehr massiven Sternen oder sogar von massiven Schwarzen Löchern auftreten. Auch hier erweist es sich, dass es nicht möglich ist, die Größe und die Form der dabei erzeugten Gravitationsstrahlung genau zu berechnen. Obwohl also die zugrunde liegende Theorie bekannt ist, ist ihre Voraussagekraft wegen der komplizierten Gleichungen stark eingeschränkt. Die Astrophysik setzt alles daran, mehr über diese Phänomene zu erfahren. Die Suche nach Gravitationswellen und ihr Studium, insbesondere von Erschütterungen des Raum-Zeit-Gefüges, die bei großen kosmischen Katastrophen auftreten, etwa Supernova-Explosionen, Kollisionen von Schwarzen Löchern untereinander oder mit massiven Sternen, zählen deshalb zu den wichtigsten Problemen der physikalischen Grundlagenforschung am Beginn des 21. Jahrhunderts.
 
Prof. Dr. Harald Fritzsch
 
Weiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:
 
Quantenphysik und eine neue Deutung der Naturgesetze
 
Grundlegende Informationen finden Sie unter:
 
Naturgesetze: Zusammenhänge des Naturgeschehens erkennen
 
Zeit: Die naturwissenschaftlich-philosophische Sichtweise
 
 
Meyers Handbuch Weltall, Beiträge von Joachim Krautter u. a. Mannheim u. a. 71994.

Universal-Lexikon. 2012.

Игры ⚽ Поможем написать реферат

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Relativitätstheorie — Die Relativitätstheorie befasst sich mit der Struktur von Raum und Zeit sowie mit dem Wesen der Gravitation. Sie besteht aus zwei maßgeblich von Albert Einstein geschaffenen physikalischen Theorien, der 1905 veröffentlichten speziellen… …   Deutsch Wikipedia

  • Raum-Zeit — Raum Zeit,   Raumzeit, Relativitätstheorie: die Zusammenfassung der drei Raumdimensionen mit der Zeit als vierter Koordinate zu einem vierdimensionalen metrischen Raum (Raum Zeit Kontinuum, Raum Zeit Welt). Der Begriff der Raum Zeit ist Ausdruck… …   Universal-Lexikon

  • Relativitätstheorie — Re|la|ti|vi|täts|the|o|rie 〈[ vi ] f. 19; unz.〉 von Einstein begründete Theorie zur möglichst allgemeinen Beschreibung der Naturgesetze, aufgrund deren sich auch Raum u. Zeit relativ, d. h. von der Wahl des Bezugssystems abhängig, erweisen * * *… …   Universal-Lexikon

  • Die implizite Ordnung — Die implizite Ordnung. Grundlagen eines dynamischen Holismus ist der deutsche Titel eines Buchs, das der Quantenphysiker David Bohm im Jahr 1980 veröffentlichte. Bohm entwirft in dem Buch ein Weltbild, in dem die Wirklichkeit nicht in einzelne… …   Deutsch Wikipedia

  • Relativitätstheorie (Geschichte) — Unter der Geschichte der speziellen Relativitätstheorie versteht man die Entwicklung von empirischen und konzeptionellen Vorschlägen und Erkenntnissen innerhalb der theoretischen Physik. Diese Entwicklung wurde insbesondere von Hendrik Antoon… …   Deutsch Wikipedia

  • Zeit — Uhrzeit; Tempus; Zeitform; Dauer; Zeitlang; Zeitspanne; Zeitintervall; Zeitdauer; Zeitabschnitt; Zeitdifferenz; Periode; (zeitlicher) Abstand; …   Universal-Lexikon

  • Quantenphysik und eine neue Deutung der Naturgesetze —   Klassische Mechanik und Elektrodynamik beschreiben makroskopische dynamische Prozesse. Sie versagen jedoch beim Beschreiben der atomaren Phänomene. Das einfachste Atom, das Wasserstoffatom, besteht aus zwei Konstituenten, dem negativ geladenen… …   Universal-Lexikon

  • Allgemeine Relativitätstheorie —   In astronomischen Dimensionen ist die Gravitation die dominierende Wechselwirkung. Sie bestimmt nicht nur Entstehung, Aufbau und Entwicklung der Planeten, Sterne, Sternsysteme, Galaxien und Galaxienhaufen, sondern auch die globale Struktur und… …   Universal-Lexikon

  • Kosmologie und Weltmodelle —   Wir können astronomische Objekte und Zusammenhänge beschreiben, die wir mit Instrumenten beobachten und durch Theorien erklären können. Wie komplex die Zusammenhänge im Einzelnen auch sein mögen, sie sind erkennbar und lassen sich anschaulich… …   Universal-Lexikon

  • Naturgesetze und kosmologische Entwicklung —   Den Aufbau und die Entwicklung des Universums suchten schon die Philosophen des Altertums zu ergründen. Als quantitative Wissenschaft entstand die Kosmologie erst im 20. Jahrhundert. Den Anstoß hierzu lieferten zwei Entdeckungen: 1915… …   Universal-Lexikon

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”